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Ohne Zivis droht die Zweiklassen-Betreuung
Von Yassin Musharbash
Das Ende der Wehrpflicht könnte nur noch eine Frage der Zeit sein: Verteidigungsminister Struck lässt bereits Pläne für eine reine Berufsarmee schmieden. Doch was passiert, wenn dann auch die Zivildienstleistenden wegfallen? Die Wohlfahrtsverbände fürchten ein Horrorszenario.
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Zivildienstleistender im Krankenhaus: Betreuung, für die keine Kasse zahlt
Berlin - Beiläufig die Gardinen auf- oder zuziehen, im Vorübergehen die Blumen gießen, mal schnell eine Postkarte einwerfen, kurz abspülen oder einfach mal ein Schwätzchen halten: Das alles sind Handlungen, die die meisten der rund 160.000 Zivildienstleistenden tagtäglich verrichten. Ohne die Zivis müssten die Wohlfahrtsverbände möglicherweise ganze Angebotszweige schließen, vom Essen auf Rädern bis hin zur individuelle Schwerstbehindertenbetreuung.
Ein Szenario, das bald schon Wirklichkeit werden könnte. Denn Grüne und Teile der SPD fordern die Abschaffung der Wehrpflicht. Noch vor Ende des Jahres wird nun der Generalinspekteur der Truppe, Wolfgang Schneiderhan, dem Minister ein entsprechendes Konzept vorlegen. Die Grünen, seit jeher gegen die Wehrpflicht, frohlocken bereits. Auch wenn Struck sich beeilte zu betonen, die Mehrheit der SPD-Fraktion sei derzeit noch für die Wehrpflicht.
Mit der Abschaffung gäbe es auf einen Schlag auch keine Zivis mehr. Die gesamte psychosoziale Betreuung Kranker und Behinderter, für die keine Kasse zahlt und die von den Zivis so gut wie im Alleingang geleistet wird, bräche weg. Für die Betroffenen und die Wohlfahrtsverbände eine Horrorvorstellung.
"Eine ziemliche Katastrophe wäre das", sagt Gisela Schulte, beim Bundesverband des Arbeiter-Samariter-Bundes für die sozialen Dienste zuständig, wo rund 4000 Zivis angestellt sind. "Man könnte den Zivildienst nicht ersetzen." Keines der Ersatzmodelle, das von Politikern bislang vorgeschlagen wurde, hält Schulte für tragfähig.
Zivis spielen eine zentrale Rolle
Junge Arbeitslose könnten doch anstelle der Kriegsdienstverweigerer zwangsverpflichtet werden, lautet zum Beispiel ein solcher Alternativvorschlag, der seit Jahren im Bundestag diskutiert wird. Unfug, findet Schulte. Arbeitslosen könnte die Motivation für diesen Job fehlen. Zivis dagegen hätten sich immerhin bewusst für ihre Tätigkeit entschieden. Insbesondere im Bereich der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung gehe es ganz ohne Herzblut und Leidenschaft nicht. Auch von allgemeinen sozialen Pflichtdiensten, die an die Stelle der Wehrpflicht treten könnten, halten die Wohlfahrtsverbände aus ähnlichen Gründen nicht viel.
AP
Würde nicht zurücktreten, wenn die Wehrpflicht fällt: Verteidigungsminister Peter Struck
Seit mittlerweile zehn Jahren zerbrechen sich die Verbände den Kopf darüber, wie eine Zukunft ihrer Angebote ohne Zivis aussehen könnte - ohne eine Lösung zu finden. Zu zentral ist die Rolle der Kriegsdienstverweigerer im Gesundheitssystem.
Doch die Vorbereitungen laufen unaufhaltsam. Im Mai dieses Jahres berief die Familienministerin Ulla Schmidt eine Kommission mit dem wolkigen Namen "Impulse für die Zivilgesellschaft - Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivildienst in Deutschland". Beteiligt sind unter anderem auch die Wohlfahrtsverbände. Anfang des Jahres wird es einen Zwischenbericht geben. Darin dürfte vor allem stehen, wie man die gegebenenfalls wegfallenden Zivis durch Ehrenamtliche oder Freiwillige zumindest teilweise ersetzen könnte.
Zivis sind motivierter als Fachkräfte
Das einzig vernünftige Modell, darüber gibt es bei allen Beteiligten kaum Zweifel, besteht darin, die Arbeit der Zivis zum Teil von Ehrenamtlichen und Freiwilligen, zum Teil von neu einzustellenden Niedriglohnbeschäftigten verrichten zu lassen. Qualifizierte Vollzeitkräfte einzustellen wäre schlichtweg zu teuer. Und überdies auch nicht unbedingt sinnvoll, wie Gisela Schulte vom Arbeiter-Samariter-Bund zu bedenken gibt: Die hohe Fluktuation der Zivis sichere einen hohen Grad an Enthusiasmus bei der Arbeit, hauptamtlich Beschäftigte dagegen seien nach einigen Jahren in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung oft ausgebrannt.
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Zivildienstleistender im Altenheim: Für die Bedürftigen unersetzlich
Doch selbst wenn im Wesentlichen Einigkeit besteht, bleibt doch das Grundproblem: Alles, was durch Ersatz nicht aufgefangen werden kann, geht unwiderruflich verloren - weil es in den Leistungskatalogen der Kassen gar nicht vorgesehen ist.
Die Folge: Viele Betroffene könnten ohne Zivis nicht mehr in ihrem sozialen Umfeld verbleiben. Das vermutet zumindest Claudia Kaminski, Sprecherin des Malteser Hilfsdienstes. Vermehrte stationäre Aufenthalte ließen sich ihrer Meinung nach kaum noch verhindern. Und: "Die Leistungen würden vermutlich teurer." Gut möglich auch, dass psycho-soziale Betreuung dann stundenweise bezahlt werden müsste - von denen, die es sich leisten können. Der Zweiklassen-Medizin folgte dann im Alter die Zweiklassen-Betreuung.
Kann man genug Freiwillige finden?
Eine Ausweitung des so genannten Freiwilligen sozialen Jahres (FSJ) steht deshalb angesichts der drohenden Zumutungen ganz oben auf der Wunschliste der Wohlfahrtsverbände. Diese Kräfte wären ähnlich günstig wie Zivis. Doch ob man genügend junge Menschen finden könnte, steht in den Sternen. Viele Verbände versuchen bereits seit Jahren, ihre entsprechenden Kampagnen vorsorglich zu verstärken. Doch noch stellen die FSJ-ler im Vergleich zu den 160.000 Zivildienstleistenden eine verschwindend kleine Minderheit.
Das FSJ, meint deshalb der SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Arnold, müsse attraktiver gemacht werden. Er schlägt vor, den Freiwilligendienst zum Beispiel mit einem Bonus für ein gegebenenfalls folgendes Studium zu verknüpfen. "Wir könnten eine erkleckliche Zahl junger Menschen finden", ist Arnold sich sicher.
Doch zunächst müsste die SPD sich wohl erst einmal die Zeit nehmen, überhaupt zu einer einheitlichen Meinung zu kommen. Er selbst, gibt Arnold trotz seiner Vorschläge zu, hält die Wehrpflicht eigentlich für die "bessere Wahl".
D: Debatte um das Ende der Wehrpflicht
Moderatoren: MA2412, eXtremZivi Klaus, Flose